Nicht(s) weniger als … eine kleine sprachliche Irritation

Es scheint, als sei die deutsche Sprache tatsächlich eine schwere Sprache: besonders im Falle von Redewendungen und Phrasen, bei deren Verwendung niemand mehr sonderlich nachdenkt.

In Rüdiger Safranskis fantastischem Buch „Romantik – Eine deutsche Affäre“ bin ich vorgestern über die Doppeldeutigkeit der Floskel „… nichts weniger als“ gestolpert. Je nach Erwartungshaltung interpretiert man es (im logischen Sinne und richtig) als Negierung des auf die drei Worte Folgenden oder (umgangssprachlich üblich und offensichtlich mehrheitsfähig) als dessen Bejahung.

„Ironie war also nichts weniger als unbekannt …“ schreibt Safranski und aus dem Zusammenhang wird deutlich, dass er Ironie gewissermaßen als stilistische Wunderwaffe der Romantiker deklariert. Ich blieb an diesem Satz hängen, las ihn wieder und wieder und ließ seine Bedeutung zwischen logisch korrektem und gefühltem Sinn hin- und her changieren. Irgendwann gab ich das auf und knipste die Nachttischlampe aus. Ich träumte wild von Caspar David Friedrich und den Gebrüdern Schlegel.

Am nächsten Morgen verriet mir Google, das der einzige Deutsche, den dieses klitzekleine sprachliche Dilemma außer mir noch umzutreiben scheint, ausgerechnet Hermann Kant ist: sein Aufsatz aus dem Jahr 2008 bringt das Problem dabei natürlich wesentlich besser auf den Punkt, als ich das je könnte.

Kant findet zahlreiche Belege (Martin Luther, Gottfried Keller, Heinrich Heine) dafür, dass es in – nennen wir sie besseren Zeiten – durchaus üblich war, das „nichts“ in „… nichts weniger als“ korrekt zu verwenden: im Sinne der Unterscheidung „… nichts anderes weniger als …“

Der schlampige Umgang mit Sprache scheint sich aber auf breiter Front Bahn zu brechen: Kant wird beispielsweise in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ Zeuge dieses Verfalls. Und wiederum Google verrät mir, dass die proletenhafte Anwendung der Redewendung „… nichts weniger als“ mittlerweile sprachlicher Standard zu sein scheint. Dabei wird dem „nichts“ offensichtlich die Bedeutung des kein bisschen weniger als“ zugeordnet.

Da wird dann also nichts weniger als ein WM-Titel gefordert. Oder nichts weniger als eine Revolution. Oder nichts weniger als die Unabhängigkeit.

Und ich vermute, die Autoren dieser Texte werden nie erfahren, dass sie WM-Titel, Revolution und Unabhängigkeit im eigentlichen Wortsinne drastisch und weit von sich gewiesen haben.

Abbildung: Caspar David Friedrich „Auf dem Segler“ (Detail), 1818